Handel: Coronavirus – Ein Fall von höherer Gewalt

17. März 2020 um 07:24 , Der AUDITOR
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SEEHEIM/KARLSRUHE. Aus aktuellem Anlass hat Mundus Agri mit Prof. Dr. Schindler zum Thema Handelsrecht in Zeiten der Corona-Krise gesprochen. Wir wollten wissen, welche Auswirkungen die Pandemie auf die Lieferverträge haben kann, ob sich Lieferanten auf „Höhere Gewalt“ berufen können und was Geschäftsführer jetzt besonders beachten müssen.

Prof. Dr. iur. Darius O. Schindler ist Professor für Handels- und Wirtschaftsrecht sowie Justiziar an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) in Karlsruhe. Er war von 2003 bis 2019 als selbständiger Rechtsanwalt und Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht tätig. Heute leitet er das Centrum für internationalen Handel und Exportrecht (C|iT|EX). 

Professor Schindler, die Auswirkungen der Corona-Krise sind erheblich. Sie haben auch Einfluss auf aktuelle Lieferbeziehungen. Womit müssen die Vertragspartner derzeit rechnen?
Schindler: Die Corona-Pandemie hat große Auswirkungen auf Liefer- und Handelsbeziehungen. Welche Auswirkungen diese auf die einzelnen Vertragsbeziehungen hat, lässt sich nicht pauschal beantworten. Dies hängt an erster Stelle davon ab, welchem Recht ein Liefervertrag unterliegt. Denn in den einzelnen Rechtsordnungen sind diese Fragen häufig unterschiedlich geregelt. 

Was bedeutet das im Einzelnen?
Schindler: Bei Lieferung innerhalb Deutschlands gilt immer das deutsche BGB. Bei internationalen, also auch europäischen Lieferungen, kommen mehrere rechtliche Anknüpfungspunkte in Betracht. Der Vertrag kann deutschem, bei ausländischen Vertragspartnern auch dessen Recht oder dem UN-Kaufrecht unterliegen. Entscheidend ist, was die Vertragsparteien in der sogenannten Rechtswahlklausel geregelt haben. Andernfalls ist über internationale Regelungen zu entscheiden, welches Recht überhaupt anzuwenden ist. 

Mit welchen Folgen muss ein Lieferant denn rechnen?
Schindler: Die Auswirkungen einer solchen Krise sind in den Verträgen normalerweise nicht explizit geregelt. Das ist, da es eine außergewöhnliche Situation ist, im Voraus natürlich nicht vorhersehbar und regelbar. Jedoch ist es üblich, mit einer Klausel der „Höheren Gewalt“ (force majeure) einen Mechanismus in den Vertrag aufzunehmen, um in einer solchen Situation zu reagieren. Als höhere Gewalt wird eine Situation angesehen, die bei Vertragsschluss nicht vorhersehbar war und auch bei Beachtung der im internationalen Handel üblichen Sorgfalt nicht abgewendet werden konnte. Ein solcher Fall der höheren Gewalt liegt mit der Corona-Pandemie sicherlich vor.

Welche Folgen sieht eine solche höhere Gewalt-Klausel vor?
Schindler: Wichtig ist, dass sich der Lieferant auf diese Klausel überhaupt beruft. Wer sich als Verkäufer unter den Schutz einer solchen Klausel stellen möchte, muss seinen Vertragspartner unverzüglich über die Situation informieren. Bei den Rechtsfolgen der höheren Gewalt ist nun aber zu unterscheiden, ob der Vertrag deutschem oder anderem Recht unterliegt. In internationalen Verträgen ist häufig geregelt, dass sich im Falle der höheren Gewalt Lieferzeiten angemessen verlängern oder die Parteien verpflichtet sind, den Vertrag nachzuverhandeln und an die neue Situation anzupassen. Häufig aber sind die Folgen höherer Gewalt nicht ausreichend geregelt. Dann sehen die einzelnen Rechtsordnungen nicht nur die Anpassung des Vertrages durch Parteiverhandlungen, sondern ein Ruhen der Leistungspflichten oder in besonderen Fällen sogar die Aufhebung des Vertrages vor. 

Wie kann sich der Lieferant darauf vorbereiten?
Schindler: Wenn sich der Lieferant auf die höhere Gewalt beruft, muss er diese natürlich auch belegen. Das bedeutet, dass er gegebenenfalls seine Lieferkette offenlegen muss, um zu beweisen, dass er tatsächlich wegen der Corona-Krise nicht in der Lage ist, fristgerecht zu liefern. 

Ist ein Lieferant denn zur Ersatzbeschaffung verpflichtet, wenn es wegen der Krise zu erheblichen Lieferverzögerungen oder Lieferausfällen kommt?
Schindler: Dies ist ein schwieriges Thema, nicht nur, weil es in solchen Krisensituationen zu Preissteigerungen kommt, die ein Lieferant aufgrund seiner Preisbindung nicht ohne weiteres an seine Kunden weitergeben kann. Rechtlich wird diese Frage unter dem Begriff „Beschaffungspflicht“ diskutiert. Die Lieferanten sind, da sie nicht konkrete einzelne Dinge liefern, eine sogenannte Gattungsschuld eingegangen. Das bedeutet, dass sie eine Lieferpflicht eingegangen sind von Sachen, die nur über gemeinschaftliche Merkmale wie z.B. Typ oder Sorte gekennzeichnet sind und sich dadurch von Gegenständen anderer Art abheben. Und diese Gattungsschuld begründet eigentlich eine Beschaffungspflicht. Wenn ich beispielsweise eine bestimmte Menge Äpfel liefern muss, dann muss ich diese gegebenenfalls bei einem anderen Lieferanten beschaffen, wenn der eigene Lieferant wegen der Corona-Krise nicht liefern kann. Etwas Anderes gilt aber, wenn der Verkäufer eigene landwirtschaftliche Produkte verkauft. Denn dann handelt es sich um eine Vorratsschuld, er schuldet nur die Lieferung aus seinem eigenen Vorrat, den er selbst erwirtschaftet hat. Wenn es ihm dann selbst nicht möglich ist, wegen der Krise zu liefern, ist er nicht zur Ersatzbeschaffung verpflichtet. 

Wie kann sich ein Lieferant auf eine solche Situation vorbereiten?
Schindler: Hier greifen zwei Bereiche ineinander. Zum einen ist es wichtig, die eigenen Lieferbeziehungen durch individuelle Verträge zu gestalten. Diese müssen sich an den möglichen Risiken der eigenen Produkte und Vertriebswege orientieren. Insbesondere bei grenzüberschreitenden Verträgen, also auch schon bei Lieferungen innerhalb der Europäischen Union, ist auf die Verträge besonderes Augenmerk zu richten. Der zweite Bereich ist versicherungstechnischer Art. Durch eine Betriebsunterbrechungsversicherung oder All-Risk-Versicherung kann sich ein Betrieb bei einer vorübergehenden Schließung, die mit einer solchen Krise verbunden sein kann, vor Umsatzausfällen schützen. Ein solcher Versicherungsschutz kann nicht erwirtschaftete Fixkosten oder entgangenen Gewinn umfassen. 

Was empfehlen Sie abschließend den Geschäftsführern?
Schindler: Als Notmaßnahme empfehle ich, die konkreten Auswirkungen der Krise auf die eigenen Lieferbeziehungen schnellstmöglich zu prüfen. Bei Risiken müssen die Vertragspartner unverzüglich informiert werden, um umfangreiche rechtliche Auseinandersetzungen zu vermeiden. Dies ist auch aus Eigenschutz wichtig, da sich Geschäftsführer privat haftbar machen, wenn dem eigenen Unternehmen aufgrund unterlassener Maßnahmen ein Schaden entsteht. Das Gesetz spricht hier von der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns. 

Professor Schindler, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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