Ukraine: Wachstumschancen in Zeiten der Not

23. April 2020 um 08:18 , Der AUDITOR
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KIEW/SEEHEIM. Die Ukraine möchte die aktuelle Situation nutzen, um Handelsbeziehungen weiter auszubauen, wenn es an anderer Stelle in der Lieferkette mal klemmt. Mundus Agri hat sich mit Sergey Zhaburovskyi, Leiter des Export-Helpdesks der Deutsch-Ukrainischen Industrie- und Handelskammer, über dieses Thema unterhalten.

Mundus Agri: Hat die aktuelle Pandemie negative oder sogar positive Auswirkungen auf den Handel zwischen Deutschland und der Ukraine?
Zhaburovskyi: Die Pandemie könnte den allgemeinen Welthandel mit der Ukraine stärker machen, darunter natürlich auch den Handel mit Deutschland. Denn jetzt ist für viele eurasische Länder der Zeitpunkt gekommen, die Abhängigkeit von China in vielen Industriebereichen zu überdenken. Auch für die Ukraine bietet sich dadurch eine einmalige Chance, zu einem wichtigen eurasischen Knotenpunkt in den Bereichen Technologie, Infrastruktur, Fertigung und Agrarwirtschaft zu werden. Bereits jetzt gehen 43% der ukrainischen Exporte in die EU. Abgesehen von Kfz-Zulieferern und der Textilindustrie ist das Land kaum in internationale Zulieferketten eingebunden. Wir hoffen, dass sich dies ändert.

Unabhängig von der Pandemie könnten die neuen EU-Richtlinien allerdings den Handel mit der Ukraine schwächen. Ab kommendem Oktober gelten für Lebensmittel- und Futtermittelimporte in die EU reduzierte Höchstmengen bezüglich der Rückstände von Chlorpyrifos und Chlorpyrifosmethyl. In der Ukraine sind Pflanzenschutzmittel mit diesen Wirkstoffen nicht verboten, aber zur Aufrechterhaltung der guten Handelsbeziehungen müssen wir uns natürlich an die Regelungen anpassen. 

Mundus Agri: Sind weitere Exportverbote für Lebensmittel zu erwarten?
Zhaburovskyi: Bisher wurde nur der Export von Buchweizen vorrübergehend gestoppt, schließlich gehört das Getreide hier zu den Grundnahrungsmitteln. Für den Weizenexport hat die Ukraine für diese Saison, also bis zum 30. Juni, ein Kontingent von 20,2 Mio. mt eingeräumt. Allerdings haben wir davon schon rund 18 Mio. mt ausgeliefert. Sollten die Quoten bereits Ende April oder Mitte Mai erschöpft sein, wird der Weizenexport bis zur neuen Saison eingestellt. Weitere Einschränkungen sind bisher jedoch nicht geplant. 

Mundus Agri: Der Handel welcher Agrarrohstoffe zwischen Deutschland und der Ukraine wird am meisten gefördert bzw. hat das größte Wachstumspotential?
Zhaburovskyi: Wir sehen durchaus Wachstumspotential beim Export verschiedener ukrainischer Agrarprodukte. Hier stehen Obst, Gemüse und Nüsse im Vordergrund. Die Ukraine ist weltweit der größte Heidelbeerproduzent und gehört auch bei Wassermelonen zu den wichtigsten Anbauländern. Seit 2017 wird zudem der Walnussanbau subventioniert, damit die einheimischen Anbauflächen und damit auch die Produktion ausgeweitet werden können. 

Mundus Agri: Welche Voraussetzungen müssen dafür erfüllt werden?
Zhaburovskyi: Ob das Potential auch erschlossen werden kann, hängt von verschiedenen Faktoren ab: Qualitäten müssen verbessert, Liefermengen müssen vergrößert werden. Da große Anteile der Produktion von Kleinbauern und Hauswirtschaften stammen, wird sich beides nur mit Hilfe von dazwischen geschalteten Markteilnehmern ändern lassen. Größere Unternehmen müssen dabei unterstützt werden, Produktion, Marketing und Geschäftsabläufe zu verbessern, der Zusammenschluss kleinerer Produzenten in Kooperativen mit gleichem Ziel gefördert werden. Deutsche Einkäufer müssen zudem davon überzeugt werden, dass es sich lohnt, direkt in der Ukraine zu kaufen. Dabei helfen zweisprachige Standardlieferverträge, EU-basiertes Reklamationsprocedere, zweisprachige Firmenwebseiten mit englisch/deutschsprachigen Ansprechpartnern etc. Angaben zur Zollabwicklung, regelgerechte Verwendung von INCOTERMS und ggf. bereits erworbenen Zertifikaten, Referenzkunden etc. 

Mundus Agri: An welchen Projekten arbeitet die AHK Ukraine derzeit?
Zhaburovskyi: Zurzeit arbeiten wir als AHK Ukraine an einem Charity-Projekt – wir möchten Gelder, Schutzausrüstung und besondere Leistungen (Ärzte zur Arbeit und von der Arbeit nach Hause bringen) sammeln und anbieten, die wir gemeinsam mit regierungsunabhängigen Organisationen an die ukrainischen Krankenhäuser übergeben werden. 

Herr Zhaburovskyi, vielen Dank für das Gespräch.

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